Dienstag, 16. Februar 2010

"Hei-Jo!"

..., so lautet der offizielle Berliner Karnevalsruf (von "Heiterkeit und Jokus", nein, das wirkt überhaupt nicht konstruiert). Ja, Tatsache: Sowas hat Berlin! Ganz ehrlich und vor allem ernsthaft! Kennt nur keiner; nichtmal der Berliner selbst. Und überhaupt: Karneval? Hier? Ick gloob, meen Schwein feift!

Zunächst mal heißt das hier Fasching. Ebenso, wie das beliebte, fettigsüße Krapfenteiggebäck Pfannkuchen heißt. Des Weiteren ist das Ganze hier was für Kinder (wohlverdient ham se sich's). Überdies kennt hier niemand Begriffe wie Fettdonnerstag oder Karnevalfreitag und nutzen tut diese Tage auch keiner: Die lieben Kleinen feiern am Rosenmontag sowie vor allem am nicht etwa Veilchen-, sondern Faschingsdienstag, und wenn das vorbei ist, ist das auch nicht weiter schlimm. Ich entsinne mich an meine Grundschulzeit und diverse Faschings-"Nachfeiern" lange nach Aschermittwoch; denn mit Scheinheiligkeit, Bigotterie, Aberglaube und anderen christlichen und vorchristlichen Tugenden haben wir's hier seit der Moderne ebensowenig wie mit dem Grundgedanken, mal unter kirchenkalendarischem Deckmäntelchen eine streng festgelegte Zeit lang die Sau rauszulassen und hinterher von den Sünden nichts mehr zu wissen, geschweige denn, was aus ihnen zu lernen. Und dann, schlussendlich, lasse man doch bitte den Berlinern ihre hart erarbeitete und ebenso wohlverdiente Antihaltung inklusive amüsierzwangbefreiter, jeckenabstinenter Zone.

Doch wie das so ist: Die Besatzungsmächte drücken den Einheimischen rücksichtslos ihre Bräuche auf und bezwecken, sie - notfalls mit Gewaltanwendung - zu missionieren (oft kennen sie es nicht anders; schließlich haben die Ärmsten es zuvor meist selbst bitter so erfahren müssen). Die Gewalt kann hierbei auch psychischer Natur sein. Früher waren das die Schwaben, eine mittlerweile selbst aus der Region vertriebene Ethnie. Seit Jahren schon versuchen nun die hier stationierten Exil-Bonner und artverwandten Zugezogenen, in Berlin allen Ernstes(!) einen Karnevals-Festumzug zu etablieren (angeblich nehmen auch immer ein paar Menschen teil an dem traurigen Vorfall - mutmaßlich keine echten Berliner). Laut jelacht. Außerdem werden ein paar tatsächlich existente, lange und zu Recht völlig unbekannte Berliner Karnevals-"Traditionsvereine", die bisher aus einigen verwirrten, alten Männern bestanden, welche auf Uniformen, Vereinsmeierei, Satzungen und Tagesordnungen standen und sich ihr Biotop dafür erhielten, ins Rampenlicht geschubst, mit öffentlicher, militanter Brauchtumpflege und PR beauftragt sowie von den Besatzern gefördert. Aufgehen will die Rechnung jedoch nicht so recht.

Vielmehr wächst Widerstand, der dem an sich ja sehr offenen und toleranten, Minderheiten respektierenden und sich mit widrigsten Gegebenheiten immer wieder arrangierenden Berliner Geist schon durch echte Schmerzen entwachsen sein muss. Da ist dringend gegenzusteuern, ehe der Berliner sich vergisst oder aber intolerant wird! Sonst entsteht ein gefährliches, explosives Klima an Spree und Havel, und plötzlich wird gegen den Eindringling aufbegehrt! Denn die Angst vor kompletter Dominierung und Überfremdung wächst. Es gibt ganze Wohnquartiere, in denen ungewohntes Stimmengewirr einer sich großkotzig aufführenden, die örtlichen Preise und damit Lebenshaltungskosten in die Höhe treibenden, alles Berlinerische verteufelnden und als pampig oder unkultiviert verhöhnenden, zugezogenen Minorität erklingt. Quartiere, in denen nichts mehr in der Heimatsprache beschriftet ist: "Bäckerbrötchen" liest man da statt Schrippen, und statt der ekligen, aber liebgewonnen Pfannkuchen bieten die derart fremddominierten Backwerkhändler zu Silvester und auch zu irgendwas, das sich irreführend "Karneval" nennt, sogar "Berliner" feil - der Eingeborene gruselt sich, denn er will keine Brüder und Schwestern essen. In der Kneipe soll es für die Barbaren "Kölsch" regnen statt `ne Molle und dazu "Frikadelle" statt Buletten sowie "Schnittchen" (welch Sexismus!) statt Stullen. Hoffentlich keine Schnittchen mit Berlinern drauf. Dazu schreien neuerdings noch einige Rädelsführer "Alaaf!". Panik greift um sich. Das Bedrohungsgefühl schleicht sich in den berlinischen Alltag. Das ist nicht gut für den sozialen Frieden, die Mechanismen sind leider bekannt: Ein Tier, das sich bedroht fühlt, geht womöglich zu Angriffsverhalten über. Das kann enorme Kräfte freisetzen. Alles läuft auf die gute, alte (etwa so alt wie die Hauptstadtentscheidung mit Regierungssitz-Umzug) Parole hinaus: "Ausländer rein, Rheinländer raus!" - Zumindest die, die kriminell sind (also zum Beispiel auffällig werden durch Diebstahl und Hehlerei von Identitäten; durch tusch- und wimpelbewaffnete Erpressung und Nötigung mit völkisch-abergläubischem Brauchtum; durch Anstiftung oder Beihilfe zum Schunkeln; durch Überfall auf die guten Sitten; durch Einbruch von Niveau; oder durch Gehirnvergewaltigung). Und die, die sich einfach nicht an unsere Kultur anpassen und sich nicht integrieren wollen. Und die gefährlichen Fundamentalisten unter ihnen. Die sollte man alle ausweisen, wieder nach Hause an den Rhein. Falls die solchermaßen in die Pampa geschickten, untragbar gewordenen Kolonialherren dort wegen ihrer Andersartigkeit - als mal im Ausland mit frei feiernden und frei denkenden, nein, überhaupt denkenden, Menschen in Kontakt Gewesene - politisch verfolgt sein sollten, könnte man sie zu ihrem Schutz, denn der Berliner ist ja kein Unmensch, auch in eine sichere Drittregion ausweisen. Zum Beispiel nach Bayern. Am besten zur Oktoberfest-Zeit direkt auf der Wies'n aussetzen.
Heijo!


6 Kommentare:

Katzenmoni hat gesagt…

Ähm, sichere Drittregion...Bayern...ach nein, danke, bitte nicht. Für den Münchener Grantler (= unkommunikativer mürrischer Ureinwohner) ist die rheinische Frohnatur, die zudem noch gefärbtes Rheinwasser in Form von "Kölsch" oder "Alt" als Bier ansieht, zutiefst suspekt

U. hat gesagt…

Ich will ja nix sagen, aber es scheint dann doch einige Berliner zu geben, die freiwillig mitfeiern - und mehr Kölsch trinken als so mancher Rheinländer; ganz davon abgesehen, dass Kindl nicht wirklich eine Lösung sein kann. ;-)

Was die tolle Molle (Hah! Binnenreime sind sooo toll! :-) ) angeht, auf die manche Berliner offensichtlich so stolz sind, fällt mir nur ein taktischer nuklearer Pinguin als Antwort ein...

Da am Aschermittwoch Hass- oder auch nur Rechtfertigungstiraden keinen Platz haben - und da ein guter Rheinländer die Berliner auch in ihrem Fehlglauben lassen kann, dass sie wissen, wie man feiert - bleibt nur noch eines:

Alaaf & bis zum 11.11.2010!

Efeu hat gesagt…

Hi Moni - schön, dich zu lesen! :) Spätestens zum Oktoberfest wirkt der Münchner zwar nur noch wegen der vielen Touristen wie ein unkommunikativer Grantler, aber vielleicht verhält es sich mit ihm auch wie mit dem echten Berliner: Er stirbt aus... Andere Vorschläge, wie in humaner Weise mit den ausgewiesenen Rheinländern zu verfahren ist, wenn Bayern sie nicht aufnimmt?

Zu den freiwillig mitfeiernden Berlinern kann ich nicht viel sagen, ich vermute, sie wurden eher gezwungen; bzw. sind schon so unterjocht, dass sie mit vorgeschützter vermeintlicher Freiwilligkeit teilnehmen. Man will keine Nachteile erleiden, weil man das grausame Spiel der Besatzer nicht mitspielt.
Gemein, dass der Rekord des Brauhauses Südstern gebrochen wurde, das wusste ich noch nicht. :-( Wir haben hier ja doch deutlich mehr zu bieten als Kindl!

Übrigens: Schön auch an der Umfrage beteiligen bitte, ja? ;-)

elpollo hat gesagt…

Super Blogpost, spricht mit aus dem Herzen. Ich hab im Rahmen meiner Tätigkeit als rbb Hure einen Großteil des Berliner Karnevals im Fernsehen gesehn und es war ein Trauerspiel. Am Wegesrand standen nur vereinzelt Leute und selbst der Karnevalschef (Prinz?) hat sich beschwert das so wenige Leute da sind (was von den Fernsehmoderatoren im Anschluß runtergespielt wurde).


"Ausländer rein, Rheinländer raus!" schreit danach in Verbindung mit einer durchgestrichenen karnevalsmütze auf TShirts und Aufkleber gedruckt zu werden.

Efeu hat gesagt…

Vielleicht ist es eigentlich ein Trauermarsch und nur als Festumzug getarnt? "Wir betrauern den Verlust berlinisch-kultureller Eigenständigkeit" oder so.

Was den Spruch angeht: Ich weiß nicht, ob es da schon ein Copyright drauf gibt. ;-) Zugeschrieben wird er oft dem Kabarettisten Konrad Beikircher, aber ich hab ihn schon vor etichen Jahren an Hauswänden gesehen. Es könnte eine soziale Bewegung draus werden. Marketing ist alles!

io hat gesagt…

ich hätte gern dieses t-shirt!

Counter