Happy Nico, Freunde des gepflegten Kitsches!
Wo aber isser geblieben?
Wer sich umsieht (und auch, wer nicht herumsieht, sondern den Blick - jahresenddepressiv, ignorant, nerdig oder soziophob - kaum vom Boden hebt: der sogar erst recht!), wird feststellen: Der alte Brauch, zum Morgen des 6. Dezember seine Stiefel zu säubern und beeindruckend hochglanzpoliert vor der Tür abzustellen, ist in der Nichtigkeit versunken. Und wenn schon irgendwo Botten rumstehen, dann erstens ungeputzt und zweitens in den meisten Fällen eher durch Zufall, denn das nasse Wetter animiert zum Teppich-/Laminatschonen und daher zum Trieftreter-Draußenlassen. Machen die lieben Kleinen auch eher, weil sie müssen, als weil sie selbst auf die Idee kämen oder sich gar süße Belohnung versprächen.
Das ist nicht nur ungeheuer frustrierend für den Nikolaus. Sondern da kommen auch mehrere kindliche sowie gesamtgesellschaftliche Trends zusammen.
Zum einen der Jugendtrend, nichts mehr ernst zu nehmen und auch keinen Respekt mehr vor den Erwachsenen zu haben (hach, es ist ein Jammer!), erst recht nicht vor denen mit roten Mänteln, schweren Säcken und irgendwelchen Prügelknechten im Schlepptau: "Guck mal Mama, der hat aber einen BMI von mindestens 30! Und wahrscheinlich hat er nichts Ordentliches gelernt, drum konnte er nicht BWL studieren und muss nun Müllmann sein! Und Asi-Klamotten trägt der auch!"
Zum anderen mangelnde Nachhaltigkeit: Es ist einfach wurscht, ob man sich schlecht oder gut benommen hat, Hauptsache es lohnt sich. Und da es unabhängig vom Benehmen Süßigkeiten & Co. (und sei's nur zum Ruhigstellen) und auch immer insgesamt Nahrung im Überfluss zu geben scheint, ist kein Reiz mehr am Füllwerk im Schuh.
Hiermit zusammen hängt auch das Dritte: "Apfel, Nuss und Mandelkern" reißen kein Kind mehr vom Hocker. Vitamine kennen die Blagen nur als irgendwie gefährlich und hierbei vor allem aus dem Profisport. Hat irgendwas mit Radfahren, Dressurreiten und Leichtathletik zu tun und diesem korrupten Chinesen namens Do Ping und ist verboten. Eh man keine Medaille, keinen Ruhm und keine Kohle kriegt, lässt man das Zeug also vielleicht besser weg. Und gegen Nüsse sind die meisten heute allergisch. Also Schoki, auch wenn die Ernährungsberater dann wieder meckern. Und die gibt's ja eh dauernd, warum sollte man die in Stiefel tun statt in den Mund? Ansonsten ist auf dicke, fette Geschenke zu hoffen, was nicht nur in der Wirtschaftskrise schwierig ist, sondern auch in der völligen Übersättigung an "Dingen", da muss schon was kommen, um Eindruck zu schinden und vom Hocker zu reißen: Ah, irgendwie ganz cool, danke.
Zum Vierten: Strafen sind auch blöderweise irgendwie out und gesellschaftlich eher geächtet. Der Retro-Charme der Rute, der Frage, ob man denn auch brav war, und des "Dann bekommst du nichts!" (respektive: "Dann darfst du jetzt nicht ans Nintendo!") im Nein-Falle zieht irgendwie nicht mehr. Aber wenn schon gestraft werden soll, dann erledigen das die Eltern lieber stolz selbst: Wenn ich mein Kind schon verhaue oder maßregele, dann doch wenigstens auf die sportliche Art! Ich miet mir doch nicht hintenrum so'n Schlägertyp und Auftrags-Kinderquäler! Der Nikolaus da mit seiner Russenmafia, tss. Am hippsten allerdings ist es, das Ganze im Falle eines Falles der "Super-Nanny" zu überlassen. Die sieht dabei auch besser aus als der blöde, olle Vintage-Clausi mit dem angeklebten Bart (zumal die Farben der Saison Lila und Fuchsia sind und nicht Rot). Zumindest, seit sie sich die zusammengewachsenen Augenbrauen ausdünnt. Die sind vielleicht noch von ihrem Job als Nikoläusin übrig gewesen und nun hat sie die Zeichen der Zeit erkannt. Sie kämpft in der Wirtschaftskrise um ihre derzeitige Arbeitsstelle, sie will nicht wieder abrutschen und im Lange-Mäntel-Segment landen, wo sie schwerbepackt in der Kälte von Tür zu Tür ziehen muss.
Zum Fünften ist es auch ein Problem der bösen, bösen Bekleidungsindustrie.
Als ich mal mehrere Paar Schuhe zum Schuster brachte und mich beim Abholen freute, dass ich nun für teils doch erstaunlich wenige Kröten (Ferseverstärken: 3 Euro; Absatz neu verschrauben/stabilisieren: 2 Euro; Naht kleben: 1 Euro; nur neu besohlen etc. ist immer rasant teuer) plötzlich wieder Schuhe hatte, entsponn sich ein Gespräch mit dem Schuster. Der verwies auch darauf, dass er sein Leistungsangebot zwingend immer mehr erweitern und daher auch Leute einstellen habe müssen (Schlüsseldienst, Änderungsschneiderei, Spezialreinigung, Gravuren, Stempel, Fotoservice(!), Geschenkartikel(!!)...), um überhaupt noch Kunden anlocken zu können, die dann "nebenbei" auch mal kleinere, nie größere, Reparaturen an ihren Schuhen vornehmen ließen, wenn sie schon mal da seien. Die meisten kauften auch lieber viele billige Saisontrends als wenige gute, hochwertige, aber teure Schuhe. Das lohne sich dann eben nicht, die zu pflegen.
Heute werden Schuhe weder repariert noch geputzt. Sie werden weggeworfen und ausgetauscht gegen neue. Schuhe putzen ist für Kinder irgendwie aus einer anderen Welt. Abgesehen davon, dass die meisten Schuhe - speziell, aber nicht nur, für Kids/Teenies - sich nicht zum Putzen eignen: Textil, Spezialkunststoff, Kunstleder, Glitzer hier und Applikation dort, siebzehn Raffungen und Falten, und weil's nicht reicht, machen wir noch zwei Schnallen drauf. Schuhe nicht putzen (nicht müssen UND nicht können) führt den Stiefel-vor-die-Tür-stell-Brauch irgendwie ad absurdum.
So kommt es, dass der arme Nikolaus zum Amt musste, um Hartz IV zu beantragen. Es ist demütigend für ihn. In seinem Alter bekommt er ja auch nichtmal mehr 'ne Umschulung (z.B. zur Super-Nanny) gefördert. Er wartet auf die Rente, aber da nicht überliefert ist, dass er Anspruch auf welche hätte, zumal er eh schon steinalt ist, hangelt er sich von Minijob zu Minijob und ertränkt seinen Frust darüber, nicht gebraucht zu werden, in Lebkuchenlikör und Orangenschnaps. Das verbessert wiederum sein gesellschaftliches Image nicht unbedingt. Zum Glück war er bisher so klug, nicht einzugehen auf das Angebot, diese Schmach zu bearbeiten oder gar zu beenden, indem er zwecks Imagepolierung Einladungen als Gast bei einem Daily Talk (hey, gibt immerhin bis zu 400 Euro pro Sendung!) zu Themen wie "Ich bin ein Dinosaurier, keiner braucht mich" oder "Sozialschmarotzer: Du machst 'n dicken Stiefel auf unsere Kosten" angenommen hätte.
Traurig, aber wahr: Momentan geht er seiner alten, vormals hochqualifiziert erlernten und mit hohem sozialen Ansehen verbundenen Ursprungstätigkeit in Form eines 1-Euro-Jobs nach. Für diejenigen, wenigen Versprengten, die in nostalgischer Verklärung doch wollen, dass ihr Kind seine Schuhe vor die Tür stellt: notfalls auch ungeputzt und von den Eltern selbst dort hingestellt, weil das Kind es irgendwie uncool und peinlich findet. Verständlich, dass er unter diesen Arbeitsbedingungen nicht gerade hochmotiviert ist. Fachlich hochwertige Spezialservices wie Ruteschwingen, Gedichtabfragen, Liedsingenlassen und Sündeninquisition lässt er da einfach weg.
Knecht Ruprecht wurde übrigens schon vor geraumer Zeit wegrationalisiert. Klassische Professionen, die seine waren (wie die Geschichte mit der Rute), hat schon vor Langem der Nikolaus mitzuübernehmen begonnen (auch wenn ihm das, wie wir gesehen haben, nur Aufschub und nicht Rettung verschaffte). Seufzend, aber aus der Not heraus, denn Angestellte konnte er sich schon lange nicht mehr leisten. Ein Memento Mori wie Ruprecht (moderne Strafknechte heißen außerdem Wieprecht, nicht Ruprecht, Gruß an Radio Eins) will heute keiner mehr auf seine Kinder loslassen. Von den Formularen beim JobCenter soll Rupi, anders als der intellektuelle St. Niklas, überfordert gewesen sein. Nach extremer Langzeitarbeitslosigkeit und später Obdachlosigkeit (ihm fehlte es aber an Charme, um ein paar Exemplare von "Motz" oder "Strassenzeitung" abzusetzen, er wurde dabei auch in der U-Bahn zu oft beim Schwarzfahren erwischt) soll er sich Gerüchten zufolge erst die Leber und dann das Leben genommen haben.
Putzt nächstes Jahr eure Stiefel und stellt sie fordernd vor die Tür! Irgendwann wird die Nachfrage beim JobCenter ankommen. Rettet den Nikolaus!
Grüne Grüße
von Frau Feu
[weihnachtsmuffelig, aber alberne Bräuche wie Heimlich-Stiefel-Füllen (oder auch, im Frühling, Bunte-Eier-Verstecken) irgendwie unterhaltsam findend]