Freitag, 27. August 2010

Outsiders

Das Los von Friedrichshain: Sollte man auf das spucken, was einen (erfolg-)reich oder überhaupt möglich macht - nur weil es irgendwann doch ein ganz niedliches kleines Bisschen nervt? Im Bereich Warschauer Straße haben ansässige Bars, Kneipen, Läden, Imbisse, Hotels etc. offenbar nun genau davon die Schnauze voll. Dabei aber Humor. Und eine ziemlich präzise Vorstellung von der Outgroup.
In F'hain schreibt man seine AGB auf Tafeln.







- ohne  weitere Worte -

Dienstag, 24. August 2010

Vom Feuern und Feiern

Es sollte das letzte open-air-taugliche Berliner Wochenende werden. Ob das stimmt, warten wir erstmal ab; der durchschnittliche Wetterfrosch kann sich schließlich nicht mit Oktopus Paul messen. Auf jeden Fall wurde es meinerseits desbezüglich genutzt - und hätte darin kontrastreicher nicht sein können.

Bereits zum 12. Mal gab es im Britzer Garten, den der echte (West-)Berliner auch nach 25 Jahren immer noch stoisch "das Buga-Gelände" oder kurz "die Buga" nennt, am Samstag das Feuerblumen und Klassik Open Air. Was ich nicht verstehe, ist, wieso jemand bei einer solchen Veranstaltung Stuhlreihen-Platzkarten kauft, wo doch der Reiz im Picknicken und Wiesesitzen liegt und die reine Akustik sowie der Sitzkomfort, falls es um dies beides geht, sicher in einem Konzertsaal besser wären. So unterteilte sich das Publikum gestrenge und abgesperrt in gemütliches Parkvolk (oder Packvolk?) mit den günstigeren Wiesenkarten einerseits und die selbsternannten oberen Zehntausend andererseits (bitte die Eingezäunten nicht füttern!) - die garantiert weniger Spaß hatten. Von der ursprünglich, man merkt's, eher auf Sport spezialisierten radioBerlin-88,8-Moderateuse Marion Pinkpank (ist das eigentlich ein Künstlername?) wurde die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch unterstrichen: In ihren ebenso bemüht wie erfolglos auf locker-lustig getrimmten Moderationen wurden die in die Bestuhlung vor der Bühne Gedrückten als "verehrte Damen und Herren" gesiezt, die WiesensitzerInnen dagegen mit "Habt ihr Spaß da hinten? Ihr seht so toll aus!" geduzt, egal, ob auch hier das Durchschnittsalter recht hoch und mehrfach Omi und Opi mit Campingzubehör oder Picknickkorb angerückt waren. Man erliegt eben gerne Klischees und biedert sich dann an, um das Senderimage zu verjüngen. Da sowohl Jazzradio als auch Klassikradio pleite sind, erklärt sich wohl auch, warum nicht Letzteres das Event sponserte und präsentierte. Na gut: dadurch sowie anhand der Frage "Öffentlich-rechtlich oder privat?" - angesichts einer Stadtparkveranstaltung.
So oder so: 12.000 BesucherInnen können nicht irren, Charme hat das Konzept. Schon vom Namen her, schließlich veranstaltet hier immer die "Grün Berlin GmbH", da müsste ich eigentlich mitwirken (ha, Brüller). Auch wenn die Musikauswahl bei der "St. Petersburger Nacht" nicht nur meine allererste Lieblingsklassik war. Inmitten all des Grünzeuges brutzelte dabei die Augustsonne in einem womöglich letzten Aufbäumen erbarmungslos vom Himmel, so dass sich unser erlauchter Kreis während der Nachmittagshitze unvereinbar in Sonnenanbeter und Schattensitzfans teilte. Als sich die befreundeten Splittergruppen am frühen Abend auf der inzwischen brechend vollen Hügellandschaft wieder zusammenschmissen, ergab dies nicht nur nasse Rückseiten vom Senke-Sitzen (da war doch die Tage davor irgendwas mit Regen gewesen? Wie war das doch mit der Physik und dem Lauf des Wassers, so rein unterirdisch betrachtet?), sondern man hatte die Musik auch mehrheitlich schon den ganzen Tag gehört; schließlich war vor Beginn des offiziellen Konzertteils stundenlang öffentlich geprobt worden. So war das Ganze ein gefällig untermaltes, gemütliches, stundenlanges Picknick. Mein spezielles Highlight war darin einmal mehr menschliches Verhalten: und zwar von Spinnern, die ihr halbes Wohnzimmermobiliar inklusive Stand-Kerzenleuchter mitgebracht hatten, bis hin zu einem der Unsrigen, der den ganzen Tag nörgelte, er warte so sehr auf das nächtliche Feuerwerk - um dann, als dieses endlich (natürlich zu Händels "Feuerwerksmusik") grandios inszeniert und choreografiert den Himmel illuminierte, die ganze Zeit die Augen zu schließen und den Kopf gen Boden zu senken: Das sei ihm "zu grell". Höchst amüsierte Grüße an dieser Stelle nach Provinzlauer Berg. Duuu nenn andere nochmal "Weichei"!
Gegen 23 Uhr glich der sonst so familienidyllische Großgarten mit den sich wegwälzenden Horden jedenfalls dem Olympiastadion beim Abzug von Fußballfans. Da soll noch einer sagen, in der Peripherie sei nix los und Klassik ein totes Genre. Wie irreführend der Begriff "E-Musik" ist, zeigte sich auch einmal mehr. Ein besserer fällt mir allerdings auch nicht ein.
"Volles Haus"...
...geht auch ohne Haus.
Bessere Gesellschaft und Wiesensitzer, Klang und Licht:
"Feuerblumen & Klassik Open Air" im Britzer Garten.
Jenen beschaulichen Unterbezirk Britz nennt der klassische Proll übrigens stänkernd "das Hollywood von Neukölln", wie am Sonntag bestätigt wurde. Auch wenn der klassische Proll in diesem Fall erstens eine Prollette, zweitens dann doch wieder keine und drittens gar nicht so klassisch war. In der "Kurmuschel von Bad Neukölln - wir sind ja jetz Kurort, in Juttas Kneipe wurde 'ne Futschi-Quelle entdeckt", auch Freiluftkino Hasenheide genannt, gastierte zum 4. Mal die Trash-Klamauk-Combo um Ades Zabel alias Edith Schröder. Was könnte russische Klassik, Barock und Mozarts seichtere Werke besser kontrastieren als konsequent schlechte und genau dadurch gute Travestie mit boshafter Prekariatsattitüde? Ediths Sommernachtstraum war wohl ein recht alkoholisierter Traum - diesmal nicht nur gespielt betankt, sondern zu "echt" wirkend von Stolpern, Textvergessen und Konfusion begleitet. So viel Unterhaltungswert hatte selten etwas so Konzeptloses. Dabei wurden kostenlos Zitty-Hefte verteilt, da Hochwürden auf dem aktuellen Titel prangt, und den Besuchern als Geschenk Rostbratwürste aufgedrängt. Schade, dett dit Jrünzeuch keen Fleesch frisst. Anderen dagegen reicht ja schon das reine Wort "Wurst" zur ekstatischen Begeisterung, und zwar öfter mal.
Wie immer gab es auch Randale light (zwecks besserer Sicht an den Seiten rupfte Edith vor der Bühne ganze Büsche aus, "wenn dett mal nich Ärger gibt mit so'ner Kampflesbe vom Grünflächenamt!") sowie, ganz im Handke'schen Sinne, beste Publikumsbeschimpfung: Sei es beim Verschachern von letzten Grillwürsten (von "Wenn ick dich so ankieke... na macht nix. Ick hatte ooch schon zu viele Würste!" bis hin zu "Wer hat sich jetz zuerst jemeldet? Hier, die da hinten, die mit den Möpsen, den kleenen! Aber dafür janz schön dicker Bauch! Is da watt drinne? Haste 'n Braten inna Röhre, ja?") oder Regenschirmen ("Ihr seid doch nich aus Zucker! Obwohl - hier wohl mehr als woandas. Ick werf mal Schürme. Siehste, dit is der Beweis, ooch Schwule können fangen.") oder bei Verkupplungsversuchen ("Biste etwa hetero? Ach so, er weeß noch nich, er überlegt noch!").
Als im Laufe des Abends die unfasslich drückende Hitze durch das abgelöst wurde, was ich mir leichtsinnigerweise im letzten Blogeintrag gewünscht hatte, erteilten sowohl Bühnenvolk als auch Publikum den gediegeneren und runderen Veranstaltungen ein Lehrstück in Sachen "feiern". Tapfer blieben fast alle, ob unter Bäumen am Rand Schutz suchend, in Regenkleidung oder Schirme geduckt oder einfach schulterzuckend, vor Ort und johlten eher lauter als leiser - und ließen auch die Darsteller nicht allzu vorzeitig gehen. Auch wenn diese ebensowenig ein Dach über sich hatten und das Programm(?) erst stärker abkürzen wollten, dann aber im Wolkenbruch alle Fünfe gerade sein ließen. Für die wild zusammenimprovisierte Finale-Party bei offenen Schleusen und ohne elektrischen Schlag, dafür aber mit noch gegenseitig übereinander ausgeleerten Gießkannen und Wassereimern, gebührt sowohl Edith als auch Biggy, Jutta, Kevin-Adriano, Adriano-Kevin und dem restlichen Edith-Universum massiver Respekt. Nur gut, dass Lady Gaga und Hürriyet Lachmann (welcher Deutschtürke nennt eigentlich seine Tochter "Freiheit"?) da schon von der Bühne waren. Die hätten sicher gezickt.

Samstag, 21. August 2010

Meer Berlin II

Noch nachgereicht von den vergangenen Tagen - und weil ich mich wieder danach sehne: Es passiert in Berlin selten (siehe auch zweite Hälfte des Eintrags zum Thema Sommerloch), aber das war nun wahrlich mal ein anderes Meer, als ich es einen Monat zuvor sowie mehrheitlich auch die Wochen drumherum wahrnahm. Und, auch wenn ich mit dieser Meinung meist allein dastehe: Hell yes, tat das gut! Und war das schön! Nicht nur für Pflanzen.






Zum Heulen nur, dass es danach sofort wieder stickig, schwül und klebrig-warm wurde. Lustig ist, dass Menschen dann immer noch meinen, es sei "gar nicht mehr heiß" oder gar "total kalt geworden" (man beachte auch die herumlaufenden Schals, Mützen und Anoraks!), nur weil es mal bedeckt ist oder ein paar Restpfützen herumlungern. Also mein Kreislauf, speziell der des Wassers, sagte da was anderes.

Montag, 16. August 2010

Schafwandler

Eine unfassbar relevante, weltbewegende, philosphische, bohrende Frage begegnete mir und lässt mich nicht los. Ich bitte daher die Grünzeuch-Leserschaft inständig um Mithilfe beim Antwort(en)-Finden:
Was zählen eigentlich Schafe, wenn sie nicht einschlafen können?

Mittwoch, 11. August 2010

Tunnelblick (3): Pretty in pink

Lange Zeit dachte ich, die meisten Freaks treffe man in der U8, U9 oder U1. Doch auch die U7 ist wirklich nicht zu verachten. Teils sind die Kaputten dort nur anders kaputt. Ich weiß nun zum Beispiel: Barbie ist ein Mensch aus Fleisch und Blut - und vielleicht etwas Silikon. Sie zerbricht an ihrem Jugendwahn und an der Gesellschaft, die ihre pastellene Gutwelt-Luxus-Lebensfantasie schmäht und verhöhnt. Und Barbie fährt U7.

Irgendwo in Schöneberg stieg sie ein: kein um Originalität und Auffallen um jeden Preis bemühter Teenager, sondern eine erwachsene Frau, vermutlich um die 30, aber Make-up kann sowohl täuschen als auch Spuren fürs Leben hinterlassen; ebenso wie Diätwahn oder Hungern, vielleicht auch wie das Leben selbst. Sie trug Träume in hellrosa: komplett, bis auf die weißen, grobmaschigen Häkellook-Kniestrümpfe, die vielleicht Overknees sein sollten und an den spindeldürren Beinen nur hinabgerutscht waren, sowie bis auf eine weiße Armkette und die wasserstoffblondierten, überlangen Haare mit Stirnpony. Das Röckchen, das Blüslein, das Top darunter, die High Heels, die Armbanduhr, die Nägel, die Lippen, das Rouge, das strassbesetzte Handy, auf dem sie, kaum sitzend, sofort wild herumzutippen beginnen würde: Alles strahlte im Klischeemädchen-Paradies-Farbton. Auf den Fingernägeln prangten zusätzlich bunte Glitzerpartikel und in bestem French-Nails-Stil rosa Blumen und Schleifen. Selbige trug sie auch im Haar - und zwar auf einem pinken Plastikhaarreif. Sie hätte eine in ihre Kindheit Zurückversprengte sein können; wenn da nicht die Gesichtszüge gewesen wären und die auffallend überdimensionierten Brüste an dem dürren, hochgewachsenen Körper. Und der Kinderwagen. Sie schob ein gerafftes Ungetüm mit Faltpagodendach und miniaturhumanoidem Inhalt mit sich herum, das sie vor meinen Füßen parkte, als sie Platz nahm; natürlich in rosa, etwas dunkler als sie selbst, ein pinkfarbener Babywagen mit Einlage: rosa, nuckelnd, glucksend. In Barbies Detailverliebtheit war auch an dem Kind alles pink, vom Strampler über die Rasseln, das Kuscheltierspielzeug und das Trinkfläschchen im leuchtpinken Wagennetz bis hin zum Windelvorratspack im Wagenkorb. Vermutlich kauft Barbie rosa Waschmittel und Klopapier - sowie auch die Lebensmittel streng nach Farbe.

Hermannplatz, ich musste aussteigen. Nein, Barbie blieb sitzen. Mit den üblichen Gescheiterten und Gehetzten an diesem Ort hatte ihre blassrosa bis freudigpinke Welt nichts gemein. Da der Kinderwagen quer vor mir stand, konnte ich nicht aufstehen und machte eine Aufbruchs-Geste, während ich "Entschuldigung?" gen rosa Elfenstaub hauchte. Statt einfach das Babyvehikel ein Stück abzurücken, sprang Barbie selbst erschrocken auf, knickte dabei mit einem ihrer viel zu hohen Pumps um vor lauter bemühter, übertrieben höflicher Hektik. Vermutlich bewirkte mein Umstiegswunsch die nächste Lebenskrise (oder Stress mit Ken), denn Barbie gab den Weg frei mit den absolut unerwarteten, schüchtern geflüsterten Worten: "Oh, Entschuldigung, ich weiß, ich weiß, ich bin wieder viel zu fett!"

Donnerstag, 5. August 2010

Tunnelblick (2): R-Ente

Viel zu lange vernachlässigt wurde die noch neugeborene Rubrik Tunnelblick. Reine Schusseligkeit, denn eigentlich vergeht selten ein Tag ohne Merkenswertes aus ÖPNVhausen und den Anrainerorten. Exemplarisch dafür steht die folgende Szene.

In den frühen Abendstunden in der U7 gen Spandau lassen sich zwei ältliche Damen mir gegenüber nieder. Sie sind bereits mitten in einem ökonomischen Fachgespräch, das ich schnell paraphrasierend gedächtnisprotokollieren möchte, ehe ich den möglichst nahen Wortlaut vergesse.
"Ja, das ist ja klar", meint die eine, "wir haben ja auch unser Leben lang hart und aufrichtig gearbeitet und jetzt dürfen wir uns eben ausruhen und kriegen unsere Rente. Aber die Jungen heute, ganz ehrlich... warum sollten die mal irgendwas kriegen, die Jungen arbeiten doch kaum. Die wissen gar nicht, wie das geht. Fangen erst so spät an oder einfach nie, und zahlt von denen ja auch keiner irgendwo ein. Und richtige Arbeit ist das ja auch nicht, was die so machen. Die sitzen ja nur an Computern. Oder warten auf ihre Rente." Die andere wendet ein: "Na die behaupten ja immer, sie kriegen keine Arbeit. Grad gibt's ja wohl auch wirklich nicht viel. Die tun mir schon leid, die jungen Leute, warum sollen die sich noch bemühen." Die erste Dame zuckt zunächst mit den Schultern, dann schüttelt sie mit dem Kopf: "Nee, weißte, das glaub ich gar nicht. Das senden die nur so im Fernsehen. Guck mal, nach dem Krieg hatten wir nix, gar nix gab es da sonst von irgendwas - aber Arbeit, die gab's ja selbst da!"
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