Die Großstadtgesellschaft ist nicht prüde. Fast schon Alltag ist es, dass Mütter gelegentlich in der Öffentlichkeit ihr Kind stillen. Weniger üblich ist es allerdings auch in Berlin, das nicht beiläufig und sachbezogen zu tun, sondern ostentativ. Eine, um alle Vorurteile zu zerstreuen, nicht gerade dem Ökomutter-Klischee entsprechende Frau - sehr hochgewachsen, mit blonder Mähne und High Heels, geschminkt, durchgestylt und betont hip und sexy gekleidet - findet es in der vollbesetzten, stickigen U8 offenbar estrebenswert, sich in aller schneckenartigen Seelenruhe zu entblößen und ihre geschwollene Brust erst noch umständlich herumzuzeigen, ehe sie sie ihrem auffallend niedlichen Baby in den Mund stopft. Einem Baby wohlgemerkt, das zuvor nicht gerade den Eindruck erweckte, akut hungrig oder sonstwie unleidlich zu sein, sondern das glücklich gluckst. Entsprechend ist der Kleine auch reichlich schnell abzulenken: Seine Faszination, rückenliegend den Blick aufwärts gerichtet, gilt bald den über ihm baumelnden Haltegriff-Schlaufen, die angesichts des rasanten Fahrstils der Bahn und der formeleinsartigen Kurvenlage wild schaukeln. Er quiekt vor Begeisterung und zeigt darauf. Der Bengel kriegt offenbar immer sofort, was er will; jedenfalls steht Mama umgehend auf und hebt ihn zu den lustig pendelnden Schlaufen empor, auf dass der Zwerg ekstatisch quietschend danach greife. Da sie es nicht für nötig hält, vorher wenigstens noch ihren Busen wieder einzupacken, hängt dieser derweil vor den dicht gedrängt umstehenden Männern herum. Die anständigerweise
nicht ekstatisch quietschend danach greifen.
1 Kommentar:
Na soll doch einer mal sagen, dass alltägliche Leben würde keine Abwechslung bieten....und das in verschiedenster Hinsicht.
Über die Motive der Frau kann reichlich und in vielerlei Dimension spekuliert werden; hier hast Du brilliant sehr viel Freiraum gelassen.
Ein Artikel der unterhaltsamen Art, der zum Kopfschütteln, Nachdenken, Belustigt sein,...., einlädt. Well done, Efeu! :D
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