Dienstag, 28. Dezember 2010

Casus knaacktus

Zeichen der viel beschrienen Gentrifizierung zeigt das sich rapide wandelnde Berlin immer mehr. Die ehemals alternative, entspannte Hauptstadt der Sub-, Super-, Anti- und Unkultur und der Leben-und-leben-lassen-Atmosphäre gemäß dem Motto "Jedem Tierchen sein Pläsierchen" ist auf dem beeindruckenden Weg dahin, München in Sachen Schickimicki-Einheitsbrei-Sauberimage einen langweiligen Konkurrenzkampf zu liefern; bei rasant steigenden Eintrittspreisen für das sportliche Kräftemessen, versteht sich. Aber Dabeisein ist alles!

Wer mal wieder ein Beispiel der schillernden Art sucht, der sei an den traurigen Fall (in zweierlei Wortsinn) des Knaack-Klubs verwiesen. Nachdem in der Umgebung schon andere Stätten des Nachtlebens weichen mussten, weil zu viele Neuansässige sich über Lärm aufgeregt oder das Jungvolk effektvoll vertrieben hatten, muss nun zum Jahresende auch "das Knaack" schließen. Es tut dies atemlos: nach langem juristischem und verwalterischem Kampf und qualvollem Sterben nach Dahinsiech-Art in einer Farce aus Fristen, Kräftemessen, Fingerzeigen, technischem und baulichem Nachrüsten (natürlich nur auf Club-Seite) und starren, vernichtenden "Lärmschutz"-Auflagen [23-Uhr-Stichkontrollen und Dezibelmesser zur Zimmerlautstärke (sic!) von maximal 25 dB auf dem Tresen, etwa in kleiner Karaoke-Runde, stammten aus keiner Versteckte-Kamera-Aktion, sondern waren Realität]. Damit muss nun aber nicht ein x-beliebiger angeblicher "Szeneclub" aus der schnelllebigen, neueren Prenzl'berger Partyszene weichen, sondern eine regelrechte Traditionsstätte der städtischen Jugendkultur und ein einendes Element Berlins. Es trifft diesmal einen Club, der seit fast 60 Jahren bestand und damit trotz seiner Unspektakularität etwas Besonderes war; einen, der schon die DDR kritisiert und überlebt und Ostberliner Teenagern mit Sport, Musik und mehr eine Anlaufstelle geboten hat ("Jugendheim Ernst Knaack") und der danach dem Gesamtberliner Jungvolk sowie, generös, auch Touri-Amüsierwütigen eine bezahlbare, alternative, unkomplizierte, dresscodefreie Großdisko mit mehreren Ebenen und Stilen sowie Livekonzerte bereithielt. Der Opa unter den Jugendclubs muss dem Platz machen, was sich hinter modernen Neubaufenstern nebenan in der Heinrich-Roller-Straße verbirgt und von dort voll Abscheu hinüberlauscht: Kleingeist, Kurzsichtigkeit und Doppelmoral. Diese Geisteshaltungen wohnen gemütlich und urig in den Stirnen einer zuziehenden oder zumachenden Yuppie-Neuanwohnerschaft, die sich per Reißbrett-Empfehlung schicke Eigentumswohnungen kauft, welche in ein Amüsierviertel hineingebaut werden, direkt an eine große Disko und Konzerthalle - weil es in der Gegend ja so lebendig und aufregend und "total Berlin" ist -, und die sich dann paradoxerweise erschreckt und aufregt, dass da, huch, ein Amüsierviertel, eine große Disko und Konzerthalle, eine lebendige und aufregende Gegend und total viel Berlin sind. Dagegen muss man nach dem Erschrecken und Wundern doch irgendwas tun!

Absurderweise hatte das Ganze Erfolg. Langgezogene Kampfhandlungen, Versuche, Diskussionen, Aufregungen, Trotz oder Appelle an den gesunden Menschenverstand oder an ein zu führendes stadtteilkulturerhaltendes Kiez-Quartiersmanagement brachten nichts: Der Knaack-Fall wurde zum Kack-Fall. Ein neuer Standort konnte nicht gefunden werden. Es wäre vermutlich auch nicht mehr dasselbe.

Rest in peace! Spätzle und Rotwein, Blutwurst und Kölsch oder einfach blauweiße Karos und Alpenglühen für alle - und eine gediegene, familienfreundliche 17-Uhr-Dinnerparty mit Pianist an der Greifswalder Straße!
..., die hoffentlich bald für den Durchfahrtverkehr gesperrt wird. Ist nämlich ekelhaft laut, wie einigen neueren Anwohnern aufgefallen ist. Gerüchtehalber soll das daran liegen, dass dort sogar Autos durchfahren dürfen. Ein Unding, und das auf so einer breiten Straße! Da auch die lästigen, hässlichen, rot-gelb-grünen Lichtzeichenwechselanlagen den Schlaf, die Ästhetik und die Küsse anwesender Musen stören, muss an diesem Um- und dem allgemeinen Zustand ohnehin früher oder später etwas geändert werden.

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