Dienstag, 24. August 2010

Vom Feuern und Feiern

Es sollte das letzte open-air-taugliche Berliner Wochenende werden. Ob das stimmt, warten wir erstmal ab; der durchschnittliche Wetterfrosch kann sich schließlich nicht mit Oktopus Paul messen. Auf jeden Fall wurde es meinerseits desbezüglich genutzt - und hätte darin kontrastreicher nicht sein können.

Bereits zum 12. Mal gab es im Britzer Garten, den der echte (West-)Berliner auch nach 25 Jahren immer noch stoisch "das Buga-Gelände" oder kurz "die Buga" nennt, am Samstag das Feuerblumen und Klassik Open Air. Was ich nicht verstehe, ist, wieso jemand bei einer solchen Veranstaltung Stuhlreihen-Platzkarten kauft, wo doch der Reiz im Picknicken und Wiesesitzen liegt und die reine Akustik sowie der Sitzkomfort, falls es um dies beides geht, sicher in einem Konzertsaal besser wären. So unterteilte sich das Publikum gestrenge und abgesperrt in gemütliches Parkvolk (oder Packvolk?) mit den günstigeren Wiesenkarten einerseits und die selbsternannten oberen Zehntausend andererseits (bitte die Eingezäunten nicht füttern!) - die garantiert weniger Spaß hatten. Von der ursprünglich, man merkt's, eher auf Sport spezialisierten radioBerlin-88,8-Moderateuse Marion Pinkpank (ist das eigentlich ein Künstlername?) wurde die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch unterstrichen: In ihren ebenso bemüht wie erfolglos auf locker-lustig getrimmten Moderationen wurden die in die Bestuhlung vor der Bühne Gedrückten als "verehrte Damen und Herren" gesiezt, die WiesensitzerInnen dagegen mit "Habt ihr Spaß da hinten? Ihr seht so toll aus!" geduzt, egal, ob auch hier das Durchschnittsalter recht hoch und mehrfach Omi und Opi mit Campingzubehör oder Picknickkorb angerückt waren. Man erliegt eben gerne Klischees und biedert sich dann an, um das Senderimage zu verjüngen. Da sowohl Jazzradio als auch Klassikradio pleite sind, erklärt sich wohl auch, warum nicht Letzteres das Event sponserte und präsentierte. Na gut: dadurch sowie anhand der Frage "Öffentlich-rechtlich oder privat?" - angesichts einer Stadtparkveranstaltung.
So oder so: 12.000 BesucherInnen können nicht irren, Charme hat das Konzept. Schon vom Namen her, schließlich veranstaltet hier immer die "Grün Berlin GmbH", da müsste ich eigentlich mitwirken (ha, Brüller). Auch wenn die Musikauswahl bei der "St. Petersburger Nacht" nicht nur meine allererste Lieblingsklassik war. Inmitten all des Grünzeuges brutzelte dabei die Augustsonne in einem womöglich letzten Aufbäumen erbarmungslos vom Himmel, so dass sich unser erlauchter Kreis während der Nachmittagshitze unvereinbar in Sonnenanbeter und Schattensitzfans teilte. Als sich die befreundeten Splittergruppen am frühen Abend auf der inzwischen brechend vollen Hügellandschaft wieder zusammenschmissen, ergab dies nicht nur nasse Rückseiten vom Senke-Sitzen (da war doch die Tage davor irgendwas mit Regen gewesen? Wie war das doch mit der Physik und dem Lauf des Wassers, so rein unterirdisch betrachtet?), sondern man hatte die Musik auch mehrheitlich schon den ganzen Tag gehört; schließlich war vor Beginn des offiziellen Konzertteils stundenlang öffentlich geprobt worden. So war das Ganze ein gefällig untermaltes, gemütliches, stundenlanges Picknick. Mein spezielles Highlight war darin einmal mehr menschliches Verhalten: und zwar von Spinnern, die ihr halbes Wohnzimmermobiliar inklusive Stand-Kerzenleuchter mitgebracht hatten, bis hin zu einem der Unsrigen, der den ganzen Tag nörgelte, er warte so sehr auf das nächtliche Feuerwerk - um dann, als dieses endlich (natürlich zu Händels "Feuerwerksmusik") grandios inszeniert und choreografiert den Himmel illuminierte, die ganze Zeit die Augen zu schließen und den Kopf gen Boden zu senken: Das sei ihm "zu grell". Höchst amüsierte Grüße an dieser Stelle nach Provinzlauer Berg. Duuu nenn andere nochmal "Weichei"!
Gegen 23 Uhr glich der sonst so familienidyllische Großgarten mit den sich wegwälzenden Horden jedenfalls dem Olympiastadion beim Abzug von Fußballfans. Da soll noch einer sagen, in der Peripherie sei nix los und Klassik ein totes Genre. Wie irreführend der Begriff "E-Musik" ist, zeigte sich auch einmal mehr. Ein besserer fällt mir allerdings auch nicht ein.
"Volles Haus"...
...geht auch ohne Haus.
Bessere Gesellschaft und Wiesensitzer, Klang und Licht:
"Feuerblumen & Klassik Open Air" im Britzer Garten.
Jenen beschaulichen Unterbezirk Britz nennt der klassische Proll übrigens stänkernd "das Hollywood von Neukölln", wie am Sonntag bestätigt wurde. Auch wenn der klassische Proll in diesem Fall erstens eine Prollette, zweitens dann doch wieder keine und drittens gar nicht so klassisch war. In der "Kurmuschel von Bad Neukölln - wir sind ja jetz Kurort, in Juttas Kneipe wurde 'ne Futschi-Quelle entdeckt", auch Freiluftkino Hasenheide genannt, gastierte zum 4. Mal die Trash-Klamauk-Combo um Ades Zabel alias Edith Schröder. Was könnte russische Klassik, Barock und Mozarts seichtere Werke besser kontrastieren als konsequent schlechte und genau dadurch gute Travestie mit boshafter Prekariatsattitüde? Ediths Sommernachtstraum war wohl ein recht alkoholisierter Traum - diesmal nicht nur gespielt betankt, sondern zu "echt" wirkend von Stolpern, Textvergessen und Konfusion begleitet. So viel Unterhaltungswert hatte selten etwas so Konzeptloses. Dabei wurden kostenlos Zitty-Hefte verteilt, da Hochwürden auf dem aktuellen Titel prangt, und den Besuchern als Geschenk Rostbratwürste aufgedrängt. Schade, dett dit Jrünzeuch keen Fleesch frisst. Anderen dagegen reicht ja schon das reine Wort "Wurst" zur ekstatischen Begeisterung, und zwar öfter mal.
Wie immer gab es auch Randale light (zwecks besserer Sicht an den Seiten rupfte Edith vor der Bühne ganze Büsche aus, "wenn dett mal nich Ärger gibt mit so'ner Kampflesbe vom Grünflächenamt!") sowie, ganz im Handke'schen Sinne, beste Publikumsbeschimpfung: Sei es beim Verschachern von letzten Grillwürsten (von "Wenn ick dich so ankieke... na macht nix. Ick hatte ooch schon zu viele Würste!" bis hin zu "Wer hat sich jetz zuerst jemeldet? Hier, die da hinten, die mit den Möpsen, den kleenen! Aber dafür janz schön dicker Bauch! Is da watt drinne? Haste 'n Braten inna Röhre, ja?") oder Regenschirmen ("Ihr seid doch nich aus Zucker! Obwohl - hier wohl mehr als woandas. Ick werf mal Schürme. Siehste, dit is der Beweis, ooch Schwule können fangen.") oder bei Verkupplungsversuchen ("Biste etwa hetero? Ach so, er weeß noch nich, er überlegt noch!").
Als im Laufe des Abends die unfasslich drückende Hitze durch das abgelöst wurde, was ich mir leichtsinnigerweise im letzten Blogeintrag gewünscht hatte, erteilten sowohl Bühnenvolk als auch Publikum den gediegeneren und runderen Veranstaltungen ein Lehrstück in Sachen "feiern". Tapfer blieben fast alle, ob unter Bäumen am Rand Schutz suchend, in Regenkleidung oder Schirme geduckt oder einfach schulterzuckend, vor Ort und johlten eher lauter als leiser - und ließen auch die Darsteller nicht allzu vorzeitig gehen. Auch wenn diese ebensowenig ein Dach über sich hatten und das Programm(?) erst stärker abkürzen wollten, dann aber im Wolkenbruch alle Fünfe gerade sein ließen. Für die wild zusammenimprovisierte Finale-Party bei offenen Schleusen und ohne elektrischen Schlag, dafür aber mit noch gegenseitig übereinander ausgeleerten Gießkannen und Wassereimern, gebührt sowohl Edith als auch Biggy, Jutta, Kevin-Adriano, Adriano-Kevin und dem restlichen Edith-Universum massiver Respekt. Nur gut, dass Lady Gaga und Hürriyet Lachmann (welcher Deutschtürke nennt eigentlich seine Tochter "Freiheit"?) da schon von der Bühne waren. Die hätten sicher gezickt.

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