Mittwoch, 14. Juni 2017

Tunnelblick (16): Elsa, Belle, Arielle, Aladdin, Simba und die anderen

Der trotz Gentrifizierung immer abgeranzter werdende Hermannplatz ist immer wieder für eine Überraschung gut. Aus den Absurditäten des dortigen Mikrokosmos' ober- und vor allem unterirdisch mit seinen aufeinanderprallenden Gegensätzen sei exemplarisch und sehr anschaulich machend folgendes Setting herausgegriffen:

Auf dem U-Bahn-Steig ganz unten, bei der U7, stinkt und klebt es wieder, wie immer. Außerdem schieben sich die zwischen U8 und U7 umsteigenden Menschenmassen teils genervt und hektisch gegeneinander, wie immer. Sie drängeln sich an, in und um viel zu volle Bahnen bei viel zu hoher Temperatur. Gibt es dort eine Menschentraube, ist sonst meist eine Schlägerei oder Gepöbel der Hintergrund; manchmal auch das allseitige Einen-Bogen-Machen um olfaktorisch belastende Verwahrloste; seltenst aber eine der etlichen Musikdarbietungen, die in Bahnen, auf Bahnhöfen und auf Straßen Berlins normalerweise längst keinen Hektiker mehr hinter dem Ofen (oder im Sommer: hinter dem Freibad) hervorlocken.
Anders ist es allerdings, wenn ein schlanker Jüngling, die Klavierbegleitung aus der Konserve neben sich aufgebaut, auf seiner Querflöte(!) extrem hingebungsvoll und herzerweichend Disneys diverse Filmballaden spielt. Die kennen sie alle: die Alten und die Jungen, die Männer und die Frauen, die Hipster und die Coolen, die Geschäftigen und die Arbeitslosen, die alteingesessenen Neuköllner Prolls oder türkischen Mamis und die zugezogenen Studierenden, Kreativen, Geschäftsleute, die Flüchtlinge und die Sozialarbeiter, die Verzweifelten und die Hoffnungsvollen. Da stehen sie alle dicht gedrängt und mauloffen, atmen tief, auch wenn es stinkt, lächeln verklärt, andächtig, summen teils mit: A Whole New World. Geld gibt natürlich keiner, denn hier hat ja keiner welches, aber es gibt tatsächlich Szenenapplaus. Und die lang ersehnte, weil mehrfach ausgefallene, endlich einfahrende U-Bahn wird von vielen ausgelassen und die nächste genommen. Ist ja eh rappelvoll. Und die Musik grad so schön entrückt. Die stressige Realität kann noch einen Song lang warten.

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