Habemus papam: Weißer Rauch stieg nicht auf, als gestern abend nach gut neun Stunden Wahlmarathon und einem dritten Wahlgang um 21.12 Uhr die Farce beendet war und das Wülffchen als neuer Bundespräsident feststand. Zu wackelig war das Ganze gewesen und zu absurd abgelaufen. Dennoch feiern sich Wulff- wie Gauck-Anhänger beide als Sieger (Jochimsen-Anhänger als Trotzkis und Rennicke-Anhänger einfach als Deutsche) - und die Mitglieder der Bundesversammlung, die nicht verhungert, verdurstet oder einfach umgefallen sind, sich als Kämpfer im Dienste des Volkes.
Nebenbei hat die Medienöffentlichkeit einen neuen Star: Er heißt Norbert Lammert und wäre auch lieber Bundespräsident als Bundes
tagspräsident, unterhaltsam ist er aber. Blogosphäre, Twitteromania, Facebookstaat und andere Bekloppte verlangen sogar nach einer Fernsehsendung für ihn. Solange alle noch gut lachen haben, ist die Politik in Deutschland offenbar noch ganz okay.
Berlins neue Edel-U-Bahn-Linie 55, sogenannte "Kanzler-U-Bahn", die mit (bisher) bombastischen 1,8 km Länge über immerhin 3 Bahnhöfe verfügt und damit u.a. den Hauptbahnhof mit dem Bundestag verbindet, glänzte noch bis spät in die Nacht mit einer Laufschrift unter den normalen "nächster Zug in xy Minuten"-Anzeigen: "Wir begrüßen die Mitglieder der Bundesversammlung herzlich zur Wahl des Bundespräsidenten in Berlin!" - Wenn das nicht Glamour ist!
Und entsprechend glamourös war das Ganze wahrlich. Inhaltlich wie formal.
Damit keiner umkippte, musste Lammert "mit dem Protokoll brechen" und das inzwischen eingetrocknete und mehrfach ausgewechselte, wartende Buffet "schon" gegen 19:30 Uhr und damit
vor dem Ergebnis eröffnen. Gerüchtehalber erschwitzten die Wahlmänner und -frauen mangels Klimaanlage und mussten zwischendrin aufs Klo gehen, wenn sie kaltes Wasser trinken wollten. Da soll noch einer sagen, das arme Berlin vernachlässige seine Bürger, aber protze und klotze, wenn es um Politiker gehe. Die werden auch nicht nur verhätschelt. Sollen ruhig mal sehen, wie es so ist in Berlin, sobald man die U55 verlässt!
Neben Protokoll, Prototypkoller, Wahl, Qual, rechnen, zechen, Moderation, Modder-Aktion, Linkspartei-Farce, Linkspartei-(über-)interpretier-Farce, Lammert-Präsentationen und dem neuen BuPrä ergab der gestrige Tag aber noch ein totales Highlight: Die Grünzeuch-Umfrage endete punktgenau. Die Ergebnisse will ich euch natürlich nicht vorenthalten.
(im Bild: Auch Christian Wulff mag Grünzeug.)
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Die 4. Umfrage war wieder ein Meinungsbarometer. Da die Inhabitanten dieses schönen Landes sich ja immer gerne ereifern, dass sie nie nach
ihrer Meinung gefragt werden, nicht einmal, wenn es um einen Repräsentanten gehen soll, der "die Deutschen" verstehen und darstellen soll und daher idealiter volksnah ist, hatte es hier einen Aufruf für Vorschläge gegeben. Daraufhin folgte die Frage:
"Deutschland sucht den Superbundespräsidenten (w/m): Wenn 'das Volk' es entscheiden dürfte, wer sollte neue/r BP werden?"
Es waren Mehrfachantworten möglich - zur Ermittelung aller Potenziale für das kleinste Übel. Das war aber offenbar nicht jedem/r Teilnehmenden klar.
Teilgenommen haben an dieser wieder einmal totaaaal ernstgemeinten und seriösen Befragung nur 14 Leute (die Studienleiterin natürlich nicht, das wäre verzerrend gewesen). Angesichts der enormen Besuchszahlen auf dem Blog während der Laufzeit fragt sich die grüne Forschungsgruppe da durchaus: Ist es zu anstrengend, zwei Klicks zu machen? Oder wird immer nur nach Meinungsteilhabe gekräht, aber dann will man doch lieber keine Meinung äußern, nichtmal anonym? Wenn nur knapp jede/r zehnte Leser/in auch die Umfrage beantwortet? Und jetzt kommt mir nicht mit: "Da fehlten die Optionen 'Wir brauchen keinen Bundespräsidenten' oder 'Jemand
ganz Anderes, der nicht auf der Liste stand'!" - Es bestand vorher genug Möglichkeit, Vorschläge zu machen (und wurde nur mäßig genutzt), und das Politsystemändern stand erstmal nicht zur Debatte. Vermutlich hätten bei einer solchen Option
alle "Weiß nicht" oder "Brauchenwa nich" angekreuzt. Nicht sehr hilfreich bei einem Wahlmeinungsbild. Und die Mirdochejaaal-Einstellung zu unterstützen war nicht Sinn der Umfrage. Allen Teilnehmenden ein umso herzlicheres Danke!
Doch nun die
Antworten:
1. "Och, der Wulff im Staatspelz ist doch 'ne ganz passable Idee."
0 Befragte
2. "Och, der zählen könnende Gauckler ist doch 'ne ganz passable Idee."
2 Befragte, 14 Prozent
3. "Och, die Luc Skywalker-Jochimsen ist doch 'ne ganz passable Idee."
0 Befragte
4. "Ich fand Zensursula von der Leyharbeit 'ne 1A Idee und weiß null, warum man davon abgerückt ist."
2 Befragte, 14 Prozent
5. "Stefan Raab, aber auch nur, weil Lena Meyer-Landrut noch nicht 40 ist!"
0 Befragte
6. "Dieter Bohlen, das gibt wenigstens geile Sprüche bei den Reden."
1 Befragte/r, 7 Prozent
7. "Joschka Fischer, der war mal beliebt und hat schon lange nix mehr gesagt."
2 Befragte, 14 Prozent
8. "Das Merkel. Da man Ämter ja nicht häufen soll, kann dann jemand Fähiges auf den KanzlerInnen-Job nachrücken."
1 Befragte/r, 7 Prozent
9. "Stoiber, das wäre wenigstens witzig! Lübke lebt!"
2 Befragte, 14 Prozent
10. "Guildo Horn, der Einfachkeit halber, weil er mit bürgerlichem Namen Horst Köhler heißt."
2 Befragte, 14 Prozent
11. "Ein/e Weizsäcker, das hatten wir lange nicht mehr."
2 Befragte, 14 Prozent
12. "Beckenbauer, dann hättenwa endlich wieder 'n Kaiser!"
3 Befragte, 21 Prozent
13. "Margot Käßmann, das gibt uns christlich-abendländische Kultur, Trinkkultur und Ehrlichkeit – und ihr sicherheitshalber einen Chauffeur."
0 Befragte
14. "Jogi Löw, sieht immer adrett aus und ist Schwabe, der spart sicher gut... wobei, warten wir die Fußball-WM ab, ich weiß noch nicht, ob ich den dann noch mag."
1 Befragte/r, 7 Prozent
15. "Matthias Richling, der kann alle(s)."
0 Befragte
16. "Heiner Geißler, für mehr Würde UND Ironie-Süffisanz im Amt."
3 Befragte, 21 Prozent
17. "Chrille Ströbele, für mehr Originalität im Amt. Ich bin auch gespannt auf das Dienst-Fahrrad mit Chauffeur."
2 Befragte, 14 Prozent
18. "Irgend'ne Frau..."
0 Befragte
19. "Genschman. Weiß nicht wieso, aber der soll doch so beliebt und toll sein."
0 Befragte
20. "Schäuble, auf dem Posten kann er nix mehr anrichten!"
1 Befragte/r, 7 Prozent
21. "Schwesterwelle, auf dem Posten kann er nix mehr anrichten!"
0 Befragte
22. "Sabine Christiansen, die kennt das Business."
0 Befragte
23. "Eva Herman, die kennt die Gesellschaft, v.a. die Frauen."
0 Befragte
24. "Was ist eigentlich mit Gesine Schwan??"
1 Befragte/r, 7 Prozent
(n=14)
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Mögliche Interpretationen der Ergebnisse:
I.) Von den tatsächlich zur Wahl stehenden (ernsthaften) Kandidaten befürworteten die Grünzeuch-LeserInnen höchstens Joachim Gauck. Das deckt sich mit anderen Umfragen im Land.
II.) Die Auswahl war offenbar zu groß für deutliche Meinungsbilder. Der Deutsche will nicht so viel abwägen. Vielleicht ist dies auch ein Grund für die geringe Mitwirkung. Möglicherweise haben v.a. viele Ostdeutsche die Umfrage gelesen - und waren dann aus alter Erfahrung überfordert vom reichhaltigen Angebot und haben das Teilnehmen bleibenlassen. Dies ließe den Schluss zu, dass die tatsächliche Politlandschaft der Bundesrepublik (nicht nur bei BP-Wahlen, sondern auch bzgl. Parteien etc.) entgegen landläufiger Meinung eigentlich sehr "ossifreundlich" ist.
III.) Franz Beckenbauer und Heiner Geißler sind die knappen Gewinner.
IV.) Vorschläge, die zuvor direkt aus der Leserschaft kamen, erzielten teils null Stimmen. Manche Menschen ändern also vielleicht häufig ihre Meinung, sind zu faul zum Abstimmen oder aber trauten dann ihrer eigenen Satire doch nicht mehr über den Weg.
V.) Wahllosigkeit aus einer dogmatischen statt inhaltlichen Haltung heraus herrscht offenbar nicht: "Irgend'ne Frau" war dann doch allen zu schwammig. Inhalte siegen, daher wohl auch die Stimmabgabe für Kaiser Franz oder Guildo Horn.
VI.) Retro-Weiber sowie Retro-Gesellschaftsbilderrepräsentanten und Helden von gestern sind out (mit Ausnahme von Joschka Fischer und Ursel von der Leyen, warum auch immer).
VII.) Kurzfristige Trends trügen: Der direkt nach Hotte Köhlers Rücktritt erschallte Ruf nach Kirchenfrau Käßmann oder der Raab-Lena-Connection erstreckt sich offenbar nicht auf die Grünzeuch-Leserschaft.
VIII.) Guido W. ist doch nicht so schlimm. Oder aber
so schlimm, dass ihm zugetraut wird, sogar als (recht einflussloser) Bundespräsident noch was kaputtmachen zu können.
Um weitere Analyse-Vorschläge oder aber eine Diskussion der obigen Analyse wird grünlichst gebeten!