Sonntag, 25. Juli 2010

Desperate Houselives

Ob mit 3-Wetter-Taft oder 3-Glitter-Top: Die Frisur sitzt, das Outfit auch, wo ist die nächste Kamera, um unter die ausgeflipptesten und tollsten Bilder des Tages zu kommen, kings and queens for a day, auf geht's, und prost, und das Ganze bei eitel Sonnenschein! Statt Stars für einen Tag gab es aber höchstens ein Celebrity Deathmatch. Da muss dann auch anderes zurückstehen, was ich eigentlich veröffentlichen wollte, irgendwie scheint gerade alles andere unpassend angesichts von Dr. House und Patient Techno.

Ungut erinnert fühlt man sich nach dem im mehreren Sinne finalen Ruhr-Rave an Sheffield vor 20 Jahren oder an andere Katastrophen bei Großveranstaltungen - ob Fußball oder Party -, die mit zu vielen Menschen auf zu wenig Raum, baulichen Blödheiten bzw. Fallen und der guten alten Panik (von wegen Trägheit der Masse!) zu tun hatten. Auch wenn die Zahlen da teils noch ganz andere waren. 19 Tote und über 340 Verletzte, davon viele schwer oder schwerst, das ist auch nicht zu verachten. Dazu kommen die Traumatisierten, welche in der Stampede oder im sich daran anschließenden, wirrwarrigen Gewühl Naivität, Orientierung, Freude oder Freunde verloren. Deathparadely seeking Susan.

Unverständlich bleibt, wie Organisatoren sowie Stadt Duisburg auf die Idee verfallen konnten, die Loveparade könne so gutgehen. Speziell, wenn damit gerechnet werden musste, dass durch gewisse Substanzen (auch in Verbindung mit i.d.R. geringem Alter der sie Einnehmenden) sowohl die Selbsteinschätzung als auch die allgemeine Urteilskraft vieler Teilnehmender ein wenig ausgehebelt sein würden. Wer hat sich nur die Nadelöhr-Idee einfallen lassen? Was aber noch viel unverständlicher bleibt: Wie sich Planer, Organisatoren und Verantwortliche geschmackloserweise so kurz nach dem Unglück zu schnellen Schuldzuweisungen bzw. vorauseilender Schuldabwehr im Selber-schuld-Stil hinreißen lassen konnten. Die Teilnehmerzahlen wurden plötzlich stündlich geringer geredet und der im Krisenstab an der Planung beteiligte Panikforscher Prof. Michael Schreckenberg erboste sich im WDR-Interview sowie auf einer Pressekonferenz gar, dass sofort nach Schuldigen gefragt werde (naja, was soll man als Journalist auch machen, um eine Sondersendung zu füllen?), findet diese aber sofort selbst, und zwar bei den Opfern. Unter denen hätten sich viele, was bei Massen oft vorkomme, "nicht an die Spielregeln gehalten". Sowas aber auch! Wenn das so oft vorkommt (wirklich nicht sehr überraschend) und schon der entsprechende Spezialist als Berater im Krisenstab sitzt, hätte man dann nicht erst recht solche Fallen vermeiden müssen?

Schön auch: Überall, auf youtube wie im Fernsehen, kursieren natürlich sofort Amateurvideos von der Szenerie. Bedenkenswert, dass Menschen in Panik die Situation nicht unter Kontrolle haben, wohl aber noch die Kamera ihres Mobiltelefons.

Ansonsten bekunden Hinz und Kunz sofort ihre Betroffenheit. Sogar Guido Westerwelle, dessen Statement nun nicht gerade brandaktuell wichtig ist; wohl weil er weiß, dass sein Sympathiekonto nicht das bestgefüllte ist und er mal wieder etwas Menschelndes sagen sollte, am besten als Erster. Der nichtpolitische Teil Berlins hat bisher noch nicht viel bekundet, erstaunlicherweise nicht einmal Häme, so kaltschnäuzig ist dann selbst keiner mit der bösen, gefürchteten Berliner Schnauze. Typisch berlinisch müsste man nun arrogant-süffisant blöken: "Sowas wäre hier nicht passiert!" Mag sein. Mag aber auch nicht sein. Wenn man bedenkt, welch Betroffenheit hier jedes Mal herrschte, wenn wieder einige alkoholisiert und vor allem dehydriert ("Schuld eigene!") verstarben oder einmal jemand in einer Messerstecherei das Nämliche tat ("Schuld eigene!"), dann will man das lieber nicht zu Ende denken, ob wir hier nicht einfach nur Glück hatten und etwas mehr Raum. Irgendwie sind wir ja schuld an der ganzen Veranstaltung. Dass es sie überhaupt je gab.

Wie die meisten "echten" Berliner sah ich damals die Laffenparade als ein notwendiges touristisches Übel für den Ruf als Weltstadt und das Herlocken von Neu-Touri-Potenzialen an, ertrug das Spektakel aber eher in stiller Würde und machte drei Kreuze, wenn die überall hinurinierenden und -vomitierenden Betrunkenen (nach meinem Eindruck war die Hauptdroge tatsächlich nie Extasy, sondern der schnöde Alkohol bei Monstertemperaturen) wieder weg waren, sich wieder zu Hause danebenbenahmen (oder vermutlich eher sehr brav) und ich das Ganze unbeschadet überstanden hatte. Anders als der jährlich zertrampelte und bepieselte, somit getötete Tiergarten. Aber solange es nur Gras ist.

1 Kommentar:

Efeu hat gesagt…

Update: Dies möchte ich nicht im Text ändern, aus Gründen der Authentizität zeitlicher Abläufe, daher per Kommentar: korrekterweise seien noch die aktuellen Zahlen ergänzt. Inzwischen sind ja 21 Tote und mehr als 500 (zum Teil schwer und schwerst) Verletzte zu beklagen. Ob diese sich noch weiter ändern, macht fast keinen Unterschied mehr, zynisch gesprochen. Man darf nur noch gespannt sein, ob der Duisburger OB zurücktritt und was sonst noch alles an Abgründen herauskommt. Und ob sich noch jemand für die Geschmacklosigkeit entschuldigt, zur öffentlichen Trauerfeier die Hinterbliebenen nicht einzuladen, sondern durch die Medien zu informieren. Leider hatte ich mich ja in diesem Blogeintrag auch zu früh gefreut, was die ausbleibende "In Berlin wäre das nicht passiert"-Arroganz angeht.

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