Samstag, 11. September 2010

Für Ly

Penis.

Mittwoch, 8. September 2010

Glänzendes aufgelegt

Die Faszination des Bösen hat mal wieder gesiegt. Am Sonntag traute ich mich auf das Badstraßenfest, Verzeihung, auf das "Herbstfest" in der Weddinger Badstraße (whatta bad street). Zwischen mit dem Kopf nickenden, quietschenden, batteriebetriebenen Plüschhunden und den unvermeidlichen luftgefüllten Etwassen prangte Bekleidung vom anderen Stern und auch sonst ein Festival des schlechten Geschmacks.
Auf den ersten Blick war das Ganze ein gefundenes Fressen für die Multikultikritiker dieser Tage; auf den zweiten aber eigentlich mehr für die Multikultikritikerkritiker. Denn die geschätzt 90 Prozent "Menschen mit Migrationshintergrund" wirkten im Durchschnitt friedlicher, geistvoller und integrierter als die wenigen anwesenden "Deutschen" (zudem: Wie viel deutscher und am Gemeinleben interessierter kann man noch werden, als auf ein Stadtteilfest zu gehen? Auf dass die Kinder die Hüpfburg bevölkern und man sich bei Wurst, Zuckerwatte und Schlager an der Bierbühne trifft?). Ein deutsches Highlight war ein dicker, alter, leer glotzender Suffspießer, der seinen wabbelnden Bierbauch spazierentrug in einem T-Shirt mit der Aufschrift: "Ich bin Angler! Willst du meinen Wurm sehen?" Oh ja, dringend, kann mich kaum halten.

Beeindruckt hat mich aber dieser Stand mit türkischen oder arabischen Importen:
Zahnarzt-Utensilien wie Winkelspiegelchen: okay. Jedem seine eigene, praktisch angelegte Phobiebewältigung. Warum zum Geier aber ein Speculum und andere gynäkologische Folterinstrumente? Auf einem Familienstraßenfest passte das prima zwischen die Batteriehunde. Man muss also nicht mehr auf Fachmessen schlurfen, weder als Medicus noch als BDSM-Szenegänger. Das nenne ich wahre Toleranz und Integration von Subkulturen - und bin, äh, ergriffen. Vaginalapplizierte Grüße zur Wochenmitte.

Samstag, 4. September 2010

Tunnelblick (5): Das Beste aus sich herausholen

Die Welt unter Tage ist eine Welt über Grenzen. Im Untergrund sind die Menschen eine große Familie: offen, locker, zutraulich. Sie haben keinerlei falsche Scham voreinander. Auch keine natürliche (soweit in der Zivilisation noch irgendwas natürlich ist) - wie die folgenden beiden Begebenheiten aus den vergangenen heißeren Tagen zeigen.

(1)
Am Hermannplatz tummeln sich ja immer verschiedenartigste Existenzen, tobt stets das pralle Leben, positiv wie negativ; die einen Existenzen praller, die anderen nüchterner, wieder andere lebender. Auf dem Bahnsteig der U8 ist es heuer besonders voll, denn es herrscht "unregelmäßiger Zugverkehr" - und das zur morgendlichen Rush Hour. Dicht an dicht stehen in der Sommerhitze die Körper der Wartenden, während ihre Geister sich gerade mit sonstwas beschäftigen - Hauptsache ablenken von der Zeitbedrängnis, der Hitze, der schlechten Luft, dem Körper. Manche schlängeln sich durch, um nervös auf und ab zu gehen. Die meisten stehen still und atmen einfach nur schwer. Mitten hinein in diese Meute stellt sich einer, um die 40, der dem Begriff "Überhöhung" eine neue Pointe gibt. Er ist offenbar deutlich über zwei Meter groß, alle Umstehenden überragt er um mindestens einen Kopf. Das Begafftwerden und Herausragen unterstreicht er aber selbstbewusst mit einem knallroten T-Shirt, das neonfarbene Musterungen im 80er-Jahre-Stil trägt und die betont seriöse Aktentasche in seiner rechten Hand zu persiflieren scheint. Leuchtend thront die Erscheinung über dem sonstigen Menschenbrei. Der Mann ist wie eine menschliche Boje, ein Leuchtturm, ein Treffpunkt, falls jemand im Gewühl seine Kinder verlieren sollte oder seine morgendliche Weggefährten-Verabredung nicht findet. Auch für Wandertage, Ausflügler und pauschalreisende Touristengruppen eignet er sich: "Wir sammeln uns an dem großen Mann mit dem Signal-Shirt."
Plötzlich fährt dieser Blickfang, gänzlich gelassen bleibend, die nicht mit Aktentaschetragen beschäftigte, freie Hand aus - und führt den Zeigefinger zum Gesicht. Ah, der Leuchtturm wird gereinigt. Genüsslich, minutenlang, freimütig, ausgiebig, unbeirrt und vor allem beeindruckend tief bohrt er mit einer ungeheuren Selbstverständlichkeit in der Nase, hoch über den Häuptern, tiefgründig mal morgendlich in sich gehend - bis die U-Bahn endlich kommt. Seltsam: Die Meute drängelt zu den Türen, doch nur wenige Menschen steigen an derselben Tür ein, die der dieser anonymen Masse endlich eine Orientierung gebende menschliche Treffpunkt mit seiner linken Hand öffnet.

(2)
Probleme mit Öffentlichkeit hat auch der junge Mann nicht, der am frühen Abend U2 fährt und sich ebenfalls sehr selbstbewusst mit seiner Körperlichkeit auseinandersetzt. Ein gutes Feeling hat er dabei aber offenbar nicht so sehr, vielmehr Probleme mit seiner Hülle. Er fühlt sich sichtlich nicht wohl in seiner Haut. Extrem breitbeinig sitzt er da und belegt damit zwei Plätze, ein eigentlich ebenso häufiger wie nervtötender Macho-Habitus auf öffentlichen Sitzgelegenheiten. Über viele Minuten hinweg zupft und kratzt und sortiert er jedoch unglücklich in seinem Schritt umher, Gesichtsausdruck: irgendwo zwischen schmerzhaft, prüfend, zweifelnd, unsicher, herzeigend und stolz. Die Hose hängt tief, die Hose hängt weit - aber einengen kann sie offenbar dennoch. Oder der Sitz der Kronjuwelen ist an sich und von Natur aus einfach ständig unzufriedenstellend. Oder nur deren angemessene Präsentation? Nach geschätzt vier Stationen des verschiedentlichen, ungenierten Sortierens und Umordnens - vermutlich hat er längst Seemannsknoten fabriziert - entscheidet er sich für den Frontalangriff: Nur kurz sieht er sich um, prüft die Mitreisenden mit knappen Blicken (was war Gegenstand des Prüfens? Anzahl, Gefahr, Gaff-Faktor, Attraktivitätsgrad, Fernsehkamerapräsenz?), befindet offenbar die immerhin mittelmäßig gefüllte Bahn für angemessen unpeinlich - und knöpft kurzerhand die Jeans auf. Nach diesmal nur einer Station erfährt er Genugtuung und kann das Kratzen und Ordnen einstellen. In medias res sortiert es sich einfach effektiver. Danach guckt er auch viel entspannter für den Rest der Fahrt. Seine Boxershorts sind fliederlila und zeigen das Lächeln der Mona Lisa, nein, es ist Marge Simpson.

Mittwoch, 1. September 2010

Tunnelblick (4): Aufpassen statt anpassen!

(1)
Spät, dunkel, klebrig und ziemlich tempelhof ist es im strömenden Regen. An der Nachtbushaltestelle am Platz der Luftbrücke lassen sich zwei aufgekratzte Provinzmädels von einem ordentlich auftrumpfenden, betont lässigen Coolio um die 20 volllabern. Aus dem laut geführten Flirtgespräch ergibt sich, selbst wenn man nicht lauschen will, dass mindestens eine davon aus Bielefeld auf Berlinbesuch ist. Der Kontrast ist groß. Ihre Freundin hüpft eher tussig und overstyled in einem roten Kleid, Feinstrümpfen und Pumps durch die Gegend, sie selbst jedoch macht auf öko, alternativ, Protest und Rastafarian: Dreadlocks, Schlabberklamotten, Piercings - und barfuß. Vielleicht machen das in Bielefeld die jungen Hipsters so. Kann sein, dass es da weder Pfützen noch Dreck noch Hundescheiße auf öffentlichen Straßen gibt. Während ihre Zehen anmutig mit Matsch, Rotz, aufgeweichten Zigarettenkippen und Brackwasser spielen, gibt der Berliner ihr ganz weltmännisch Ausgeh- und Chilltipps. Als der Bus kommt, glotzt ihr nicht nur der Busfahrer hypnotisiert auf die Füße (verkneift sich aber, sehr untypisch für diese Spezies, sichtlich mühsam jeden Kommentar), sondern steigt sie nach minutenlangem, angeregtem Gespräch ohne jede Verabschiedung vom flirtenden Coolio ein. Kein Wort des Grußes und kein Blick; sein "Viel Spaß noch!" geht ins Leere. Falls Bielefeld entgegen allen Verschwörungstheorien doch existiert, dann tragen die Menschen dort leidvolle psychische Folgen ihrer ständigen Infragestellung davon.

(2)
Auf dem abendlichen, dennoch sehr schwülen Bahnsteig der U9 am Zoo muss man sich von der Masse absetzen. Die junge Frau mit dem perfekten Make-up und den Vorzeige-Boutiqueklamotten beherrscht das: Sie konterkariert ihr am Oberkörper betont businesshaftes, hochgeschlossenes Outfit (weiße Bluse, Strickweste, Blazer) mit Highheels-Sandaletten mit 10-cm-Absatz und Plateau, durch die knallrot lackierte Zehnägel blitzen und über denen sie die zu eng sitzende Stretch-Jeansleggings umgekrempelt hat, damit man auch sieht, dass das exzentrische Schuhwerk bis über die Knöchel hochreicht. Sexy. Neben einer normalen Umhängetasche trägt sie das bekannte, sehr dicke, rote Kompaktbuch (mit bunten Post-its in den lesenswerten Seiten markiert) mit sich herum, das man so schön mit Ergänzungslieferungen seitenweise nachbeheften kann - damit auch jeder weiß und sieht, dass sie Jura studiert. Die Aufschrift "Schönfelder, Deutsche Gesetze, Textsammlung" kann man allerdings nicht lesen, sondern nur wissen, denn sie ist kreativ: Von außen hat sie das Buch beklebt, eingeschlagen mit einem Stoffeinband im gleichen Rot mit selbstgebastelten Henkeln: So kann sie es - die mit Lesezeichen versehene Seitenkante nach oben - stylish als Handtasche herumtragen. In der Bahn schlägt sie das rote Täschchen auch demonstrativ auf und beginnt, mit wichtigem Gesichtsausdruck darin herumzublättern. Das Abheben von der Masse funktioniert: Die Umsitzenden bieten die ganze Belustigungs-Bandbreite von dezent schmunzelnd bis sich gegenseitig breit anfeixend; wirkt die Dame doch ebenso sehr einem Möchtegern-"Sex and the city"-Set entlaufen wie deplaziert an dieser Stelle.
Antipodisch besteigt an der nächsten Station ein Punk die U-Bahn. Kein Teenie-Modepunk, sondern ein seltener echter, ranziger, etwas in die Jahre gekommener; einer mit (natürlich!) Hund im Schlepptau, grünlich ausgewaschenem Irokesenschnitt, ausgedienten Feuerzeugköpfen als Nieten am Revers der zerfledderten Jeansweste und sowas wie politischen Einstellungen, die er mit Anarcho- bzw. Anti-Nazi-Aufnähern zur Schau trägt. Auch wenn die Bahn nicht voll ist: Sitzbänke sind ihm zu spießig. Sein Wuffi und er nehmen bequem im Gang auf dem Fußboden Platz, gegenüber der Jurastudentin, die prompt angewidert von ihrem Schönfelder aufschaut. Doch auch er hat Lektüre dabei: intellektuell, politisch, gesellschafts- und konsumkritisch! Aus seinem abgegrabbelten und mit wichtigen Statements bemalten Armeerucksack zaubert er ein zerfleddertes "Disney's Lustiges Taschenbuch" hervor, in das er sich ebenso angestrengt wie fasziniert vertieft. Faust hoch gegen das System! Mittelfinger den Spießern und Nichtdenkern!

Freitag, 27. August 2010

Outsiders

Das Los von Friedrichshain: Sollte man auf das spucken, was einen (erfolg-)reich oder überhaupt möglich macht - nur weil es irgendwann doch ein ganz niedliches kleines Bisschen nervt? Im Bereich Warschauer Straße haben ansässige Bars, Kneipen, Läden, Imbisse, Hotels etc. offenbar nun genau davon die Schnauze voll. Dabei aber Humor. Und eine ziemlich präzise Vorstellung von der Outgroup.
In F'hain schreibt man seine AGB auf Tafeln.







- ohne  weitere Worte -

Dienstag, 24. August 2010

Vom Feuern und Feiern

Es sollte das letzte open-air-taugliche Berliner Wochenende werden. Ob das stimmt, warten wir erstmal ab; der durchschnittliche Wetterfrosch kann sich schließlich nicht mit Oktopus Paul messen. Auf jeden Fall wurde es meinerseits desbezüglich genutzt - und hätte darin kontrastreicher nicht sein können.

Bereits zum 12. Mal gab es im Britzer Garten, den der echte (West-)Berliner auch nach 25 Jahren immer noch stoisch "das Buga-Gelände" oder kurz "die Buga" nennt, am Samstag das Feuerblumen und Klassik Open Air. Was ich nicht verstehe, ist, wieso jemand bei einer solchen Veranstaltung Stuhlreihen-Platzkarten kauft, wo doch der Reiz im Picknicken und Wiesesitzen liegt und die reine Akustik sowie der Sitzkomfort, falls es um dies beides geht, sicher in einem Konzertsaal besser wären. So unterteilte sich das Publikum gestrenge und abgesperrt in gemütliches Parkvolk (oder Packvolk?) mit den günstigeren Wiesenkarten einerseits und die selbsternannten oberen Zehntausend andererseits (bitte die Eingezäunten nicht füttern!) - die garantiert weniger Spaß hatten. Von der ursprünglich, man merkt's, eher auf Sport spezialisierten radioBerlin-88,8-Moderateuse Marion Pinkpank (ist das eigentlich ein Künstlername?) wurde die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch unterstrichen: In ihren ebenso bemüht wie erfolglos auf locker-lustig getrimmten Moderationen wurden die in die Bestuhlung vor der Bühne Gedrückten als "verehrte Damen und Herren" gesiezt, die WiesensitzerInnen dagegen mit "Habt ihr Spaß da hinten? Ihr seht so toll aus!" geduzt, egal, ob auch hier das Durchschnittsalter recht hoch und mehrfach Omi und Opi mit Campingzubehör oder Picknickkorb angerückt waren. Man erliegt eben gerne Klischees und biedert sich dann an, um das Senderimage zu verjüngen. Da sowohl Jazzradio als auch Klassikradio pleite sind, erklärt sich wohl auch, warum nicht Letzteres das Event sponserte und präsentierte. Na gut: dadurch sowie anhand der Frage "Öffentlich-rechtlich oder privat?" - angesichts einer Stadtparkveranstaltung.
So oder so: 12.000 BesucherInnen können nicht irren, Charme hat das Konzept. Schon vom Namen her, schließlich veranstaltet hier immer die "Grün Berlin GmbH", da müsste ich eigentlich mitwirken (ha, Brüller). Auch wenn die Musikauswahl bei der "St. Petersburger Nacht" nicht nur meine allererste Lieblingsklassik war. Inmitten all des Grünzeuges brutzelte dabei die Augustsonne in einem womöglich letzten Aufbäumen erbarmungslos vom Himmel, so dass sich unser erlauchter Kreis während der Nachmittagshitze unvereinbar in Sonnenanbeter und Schattensitzfans teilte. Als sich die befreundeten Splittergruppen am frühen Abend auf der inzwischen brechend vollen Hügellandschaft wieder zusammenschmissen, ergab dies nicht nur nasse Rückseiten vom Senke-Sitzen (da war doch die Tage davor irgendwas mit Regen gewesen? Wie war das doch mit der Physik und dem Lauf des Wassers, so rein unterirdisch betrachtet?), sondern man hatte die Musik auch mehrheitlich schon den ganzen Tag gehört; schließlich war vor Beginn des offiziellen Konzertteils stundenlang öffentlich geprobt worden. So war das Ganze ein gefällig untermaltes, gemütliches, stundenlanges Picknick. Mein spezielles Highlight war darin einmal mehr menschliches Verhalten: und zwar von Spinnern, die ihr halbes Wohnzimmermobiliar inklusive Stand-Kerzenleuchter mitgebracht hatten, bis hin zu einem der Unsrigen, der den ganzen Tag nörgelte, er warte so sehr auf das nächtliche Feuerwerk - um dann, als dieses endlich (natürlich zu Händels "Feuerwerksmusik") grandios inszeniert und choreografiert den Himmel illuminierte, die ganze Zeit die Augen zu schließen und den Kopf gen Boden zu senken: Das sei ihm "zu grell". Höchst amüsierte Grüße an dieser Stelle nach Provinzlauer Berg. Duuu nenn andere nochmal "Weichei"!
Gegen 23 Uhr glich der sonst so familienidyllische Großgarten mit den sich wegwälzenden Horden jedenfalls dem Olympiastadion beim Abzug von Fußballfans. Da soll noch einer sagen, in der Peripherie sei nix los und Klassik ein totes Genre. Wie irreführend der Begriff "E-Musik" ist, zeigte sich auch einmal mehr. Ein besserer fällt mir allerdings auch nicht ein.
"Volles Haus"...
...geht auch ohne Haus.
Bessere Gesellschaft und Wiesensitzer, Klang und Licht:
"Feuerblumen & Klassik Open Air" im Britzer Garten.
Jenen beschaulichen Unterbezirk Britz nennt der klassische Proll übrigens stänkernd "das Hollywood von Neukölln", wie am Sonntag bestätigt wurde. Auch wenn der klassische Proll in diesem Fall erstens eine Prollette, zweitens dann doch wieder keine und drittens gar nicht so klassisch war. In der "Kurmuschel von Bad Neukölln - wir sind ja jetz Kurort, in Juttas Kneipe wurde 'ne Futschi-Quelle entdeckt", auch Freiluftkino Hasenheide genannt, gastierte zum 4. Mal die Trash-Klamauk-Combo um Ades Zabel alias Edith Schröder. Was könnte russische Klassik, Barock und Mozarts seichtere Werke besser kontrastieren als konsequent schlechte und genau dadurch gute Travestie mit boshafter Prekariatsattitüde? Ediths Sommernachtstraum war wohl ein recht alkoholisierter Traum - diesmal nicht nur gespielt betankt, sondern zu "echt" wirkend von Stolpern, Textvergessen und Konfusion begleitet. So viel Unterhaltungswert hatte selten etwas so Konzeptloses. Dabei wurden kostenlos Zitty-Hefte verteilt, da Hochwürden auf dem aktuellen Titel prangt, und den Besuchern als Geschenk Rostbratwürste aufgedrängt. Schade, dett dit Jrünzeuch keen Fleesch frisst. Anderen dagegen reicht ja schon das reine Wort "Wurst" zur ekstatischen Begeisterung, und zwar öfter mal.
Wie immer gab es auch Randale light (zwecks besserer Sicht an den Seiten rupfte Edith vor der Bühne ganze Büsche aus, "wenn dett mal nich Ärger gibt mit so'ner Kampflesbe vom Grünflächenamt!") sowie, ganz im Handke'schen Sinne, beste Publikumsbeschimpfung: Sei es beim Verschachern von letzten Grillwürsten (von "Wenn ick dich so ankieke... na macht nix. Ick hatte ooch schon zu viele Würste!" bis hin zu "Wer hat sich jetz zuerst jemeldet? Hier, die da hinten, die mit den Möpsen, den kleenen! Aber dafür janz schön dicker Bauch! Is da watt drinne? Haste 'n Braten inna Röhre, ja?") oder Regenschirmen ("Ihr seid doch nich aus Zucker! Obwohl - hier wohl mehr als woandas. Ick werf mal Schürme. Siehste, dit is der Beweis, ooch Schwule können fangen.") oder bei Verkupplungsversuchen ("Biste etwa hetero? Ach so, er weeß noch nich, er überlegt noch!").
Als im Laufe des Abends die unfasslich drückende Hitze durch das abgelöst wurde, was ich mir leichtsinnigerweise im letzten Blogeintrag gewünscht hatte, erteilten sowohl Bühnenvolk als auch Publikum den gediegeneren und runderen Veranstaltungen ein Lehrstück in Sachen "feiern". Tapfer blieben fast alle, ob unter Bäumen am Rand Schutz suchend, in Regenkleidung oder Schirme geduckt oder einfach schulterzuckend, vor Ort und johlten eher lauter als leiser - und ließen auch die Darsteller nicht allzu vorzeitig gehen. Auch wenn diese ebensowenig ein Dach über sich hatten und das Programm(?) erst stärker abkürzen wollten, dann aber im Wolkenbruch alle Fünfe gerade sein ließen. Für die wild zusammenimprovisierte Finale-Party bei offenen Schleusen und ohne elektrischen Schlag, dafür aber mit noch gegenseitig übereinander ausgeleerten Gießkannen und Wassereimern, gebührt sowohl Edith als auch Biggy, Jutta, Kevin-Adriano, Adriano-Kevin und dem restlichen Edith-Universum massiver Respekt. Nur gut, dass Lady Gaga und Hürriyet Lachmann (welcher Deutschtürke nennt eigentlich seine Tochter "Freiheit"?) da schon von der Bühne waren. Die hätten sicher gezickt.

Samstag, 21. August 2010

Meer Berlin II

Noch nachgereicht von den vergangenen Tagen - und weil ich mich wieder danach sehne: Es passiert in Berlin selten (siehe auch zweite Hälfte des Eintrags zum Thema Sommerloch), aber das war nun wahrlich mal ein anderes Meer, als ich es einen Monat zuvor sowie mehrheitlich auch die Wochen drumherum wahrnahm. Und, auch wenn ich mit dieser Meinung meist allein dastehe: Hell yes, tat das gut! Und war das schön! Nicht nur für Pflanzen.






Zum Heulen nur, dass es danach sofort wieder stickig, schwül und klebrig-warm wurde. Lustig ist, dass Menschen dann immer noch meinen, es sei "gar nicht mehr heiß" oder gar "total kalt geworden" (man beachte auch die herumlaufenden Schals, Mützen und Anoraks!), nur weil es mal bedeckt ist oder ein paar Restpfützen herumlungern. Also mein Kreislauf, speziell der des Wassers, sagte da was anderes.

Montag, 16. August 2010

Schafwandler

Eine unfassbar relevante, weltbewegende, philosphische, bohrende Frage begegnete mir und lässt mich nicht los. Ich bitte daher die Grünzeuch-Leserschaft inständig um Mithilfe beim Antwort(en)-Finden:
Was zählen eigentlich Schafe, wenn sie nicht einschlafen können?

Mittwoch, 11. August 2010

Tunnelblick (3): Pretty in pink

Lange Zeit dachte ich, die meisten Freaks treffe man in der U8, U9 oder U1. Doch auch die U7 ist wirklich nicht zu verachten. Teils sind die Kaputten dort nur anders kaputt. Ich weiß nun zum Beispiel: Barbie ist ein Mensch aus Fleisch und Blut - und vielleicht etwas Silikon. Sie zerbricht an ihrem Jugendwahn und an der Gesellschaft, die ihre pastellene Gutwelt-Luxus-Lebensfantasie schmäht und verhöhnt. Und Barbie fährt U7.

Irgendwo in Schöneberg stieg sie ein: kein um Originalität und Auffallen um jeden Preis bemühter Teenager, sondern eine erwachsene Frau, vermutlich um die 30, aber Make-up kann sowohl täuschen als auch Spuren fürs Leben hinterlassen; ebenso wie Diätwahn oder Hungern, vielleicht auch wie das Leben selbst. Sie trug Träume in hellrosa: komplett, bis auf die weißen, grobmaschigen Häkellook-Kniestrümpfe, die vielleicht Overknees sein sollten und an den spindeldürren Beinen nur hinabgerutscht waren, sowie bis auf eine weiße Armkette und die wasserstoffblondierten, überlangen Haare mit Stirnpony. Das Röckchen, das Blüslein, das Top darunter, die High Heels, die Armbanduhr, die Nägel, die Lippen, das Rouge, das strassbesetzte Handy, auf dem sie, kaum sitzend, sofort wild herumzutippen beginnen würde: Alles strahlte im Klischeemädchen-Paradies-Farbton. Auf den Fingernägeln prangten zusätzlich bunte Glitzerpartikel und in bestem French-Nails-Stil rosa Blumen und Schleifen. Selbige trug sie auch im Haar - und zwar auf einem pinken Plastikhaarreif. Sie hätte eine in ihre Kindheit Zurückversprengte sein können; wenn da nicht die Gesichtszüge gewesen wären und die auffallend überdimensionierten Brüste an dem dürren, hochgewachsenen Körper. Und der Kinderwagen. Sie schob ein gerafftes Ungetüm mit Faltpagodendach und miniaturhumanoidem Inhalt mit sich herum, das sie vor meinen Füßen parkte, als sie Platz nahm; natürlich in rosa, etwas dunkler als sie selbst, ein pinkfarbener Babywagen mit Einlage: rosa, nuckelnd, glucksend. In Barbies Detailverliebtheit war auch an dem Kind alles pink, vom Strampler über die Rasseln, das Kuscheltierspielzeug und das Trinkfläschchen im leuchtpinken Wagennetz bis hin zum Windelvorratspack im Wagenkorb. Vermutlich kauft Barbie rosa Waschmittel und Klopapier - sowie auch die Lebensmittel streng nach Farbe.

Hermannplatz, ich musste aussteigen. Nein, Barbie blieb sitzen. Mit den üblichen Gescheiterten und Gehetzten an diesem Ort hatte ihre blassrosa bis freudigpinke Welt nichts gemein. Da der Kinderwagen quer vor mir stand, konnte ich nicht aufstehen und machte eine Aufbruchs-Geste, während ich "Entschuldigung?" gen rosa Elfenstaub hauchte. Statt einfach das Babyvehikel ein Stück abzurücken, sprang Barbie selbst erschrocken auf, knickte dabei mit einem ihrer viel zu hohen Pumps um vor lauter bemühter, übertrieben höflicher Hektik. Vermutlich bewirkte mein Umstiegswunsch die nächste Lebenskrise (oder Stress mit Ken), denn Barbie gab den Weg frei mit den absolut unerwarteten, schüchtern geflüsterten Worten: "Oh, Entschuldigung, ich weiß, ich weiß, ich bin wieder viel zu fett!"

Donnerstag, 5. August 2010

Tunnelblick (2): R-Ente

Viel zu lange vernachlässigt wurde die noch neugeborene Rubrik Tunnelblick. Reine Schusseligkeit, denn eigentlich vergeht selten ein Tag ohne Merkenswertes aus ÖPNVhausen und den Anrainerorten. Exemplarisch dafür steht die folgende Szene.

In den frühen Abendstunden in der U7 gen Spandau lassen sich zwei ältliche Damen mir gegenüber nieder. Sie sind bereits mitten in einem ökonomischen Fachgespräch, das ich schnell paraphrasierend gedächtnisprotokollieren möchte, ehe ich den möglichst nahen Wortlaut vergesse.
"Ja, das ist ja klar", meint die eine, "wir haben ja auch unser Leben lang hart und aufrichtig gearbeitet und jetzt dürfen wir uns eben ausruhen und kriegen unsere Rente. Aber die Jungen heute, ganz ehrlich... warum sollten die mal irgendwas kriegen, die Jungen arbeiten doch kaum. Die wissen gar nicht, wie das geht. Fangen erst so spät an oder einfach nie, und zahlt von denen ja auch keiner irgendwo ein. Und richtige Arbeit ist das ja auch nicht, was die so machen. Die sitzen ja nur an Computern. Oder warten auf ihre Rente." Die andere wendet ein: "Na die behaupten ja immer, sie kriegen keine Arbeit. Grad gibt's ja wohl auch wirklich nicht viel. Die tun mir schon leid, die jungen Leute, warum sollen die sich noch bemühen." Die erste Dame zuckt zunächst mit den Schultern, dann schüttelt sie mit dem Kopf: "Nee, weißte, das glaub ich gar nicht. Das senden die nur so im Fernsehen. Guck mal, nach dem Krieg hatten wir nix, gar nix gab es da sonst von irgendwas - aber Arbeit, die gab's ja selbst da!"
Counter